Warum Vitamin D nur wirkt, wenn man es täglich nimmt

Interview mit Dr. Bruce Hollis 

Warum Vitamin D nur wirkt, wenn man es täglich nimmt

Interview mit Dr Hollis über revolutionäre neue Erkenntnisse zu Vitamin D. Warum unser Modell falsch war und warum man Vitamin D immer täglich nehmen muss.

Ein neues Modell von Vitamin D

2015 veröffentlichte Dr Bruce Hollis eine der vielleicht wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten zu Vitamin D in der jüngeren Zeit, die ein neues Modell des Vitamin-D-Stoffwechsels vorstellte. (1) Das revolutionäre Modell erklärt nicht nur die vielen Widersprüche in der Vitamin-D-Forschung, sondern dürfte auch dazu führen, dass unser Verständnis von Vitamin D neu gefasst, die Forschungen der letzten Jahre in Frage gestellt und die therapeutische Praxis geändert werden muss. VitaminD.net sprach mit Dr. Hollis über seine Entdeckung und ihre Bedeutung.

Grundlagen
Für alle hormonellen Wirkungen des Vitamin D, die über den Vitamin-D-Rezeptor ausgelöst werden, muss Vitamin D zunächst von speziellen Enzymen in das aktive Vitamin-D-Hormon umgewandelt werden. Dies geschieht in zwei getrennten Schritten: Zunächst zur Zirkulationsform 25(OH)D und dann in das Hormon Calcitriol (chemisch: 1,25(OH)2D).

Es gibt zwei getrennte Wirkpfade auf denen diese Umwandlung stattfinden kann.

  1. Der endokrine Wirkpfad
    Hier geschieht der erste Umwandlungsschritt in der Leber, der zweite in den Nieren. Dieser Wirkpfad ist streng durch hormonelle Regelkreise reguliert.
  2. Der parakrine/autokrine Wirkpfad
    Hier geschieht die Umwandlung unabhängig und lokal, in den Zellen selbst. Fast alle Zellen verfügen über beide dazu nötigen Enzyme.

Vitamin-D-Wirkpfade

Bruce, wäre es richtig zu sagen, dass der endokrine Pfad hauptsächlich der Regulation des Calcium-Haushalts dient, während der autokrine/parakrine Pfad der eigentlich ausschlaggebende Faktor für alle nicht-kalzämischen Wirkungen des Vitamin D ist – wie zum Beispiel die Immunmodulation und Krebs-Prävention?

Also wenn Du mich fragst: ja! Es ist der individuelle, zelluläre Stoffwechsel, der ausschlaggebend ist für die Immunfunktion und die Krebsvorbeugung, die Wirkungen im Gehirn und Nervensystem und all die anderen nicht-kalzämischen Wirkungen von Vitamin D. Immerhin steuert Vitamin D in den Zellen über 2000 Gene.

Die aktuelle Theorie lautet, dass das 25(OH)D, welches auf dem endokrinen Pfad in der Leber produziert wird, der Ausgangsstoff für die zelluläre Umwandlung im parakrinen Weg ist. Allerdings gibt es zahllose Probleme mit dieser Theorie. Was war das erste Indiz, dass dich hat zweifeln lassen, dass unser Verständnis von Vitamin D korrekt ist?

Der erste Punkt, der mich stutzig gemacht hat, waren unsere Studien zur zellulären Permeabilität von Vitamin D. Ich forschte über den Transfer von Vitamin D aus dem Blut in die Muttermilch und dabei wurde deutlich, dass Vitamin D eine zelluläre Barriere überwinden muss, um vom Blut in die Muttermilch zu gelangen. Und wir fanden heraus, dass 25(OH)D diese Barriere schlicht nicht überwinden kann, während Vitamin D geradezu vom Blut in die Muttermilch floss, in großen Mengen. Und der Grund ist, dass 25(OH)D fast vollständig an spezielle Transportmoleküle gebunden ist – das sogenannte DBP – und diese Verbindung kann nicht in die Zellen diffundieren. Es gibt fast kein freies 25(OH)D – es sitzt nahezu vollständig auf dem DBP fest. Vitamin D selbst hingegen zirkuliert in einer freien Form und diffundiert sehr gut in Zellen. Als mir das erstmals bewusst wurde, wurde mir auch klar, dass das aktuelle Modell nicht wirklich Sinn ergibt.

Ich denke die aktuelle Theorie ist, dass ja nicht alles 25(OH)D an DBP gebunden ist und dass das wenige freie 25(OH)D eben ausreicht…

Nun, wir können durch neue Verfahren die Konzentration des freien 25(OH)D genau messen und wenn du dir die Konzentrationen des freien 25(OH)D ansiehst, dann sind das 5-10 pg/ml – in meinen Augen ist das komplett insignifikant! Es ist einfach zu wenig, um irgendeine Wirkung zu haben. Also lautet die Frage: Wie soll ein zellulärer Vitamin-D-Metabolismus stattfinden, wenn 25(OH)D überhaupt nicht in die Zellen diffundieren kann? Und meine Antwort ist, dass das Vitamin D selbst – das immer frei ist – nicht nur bereitwillig in und aus Zellen diffundieren kann, es liegt auch in sehr großen Konzentrationen vor.

Und das ist noch lange nicht das einzige, was dafür spricht: Warum sonst haben Zellen die Fähigkeit, Vitamin D in 25(OH)D umzuwandeln? Warum finden wir das dazu nötige Enzym, die 25-Hydroxylase in so vielen unterschiedlichen Zelltypen? Wozu ist das dort? Wenn man sich dass alles ansieht, wird klar, dass es das Vitamin D selbst sein muss, dass die zentrale Rolle im parakrinen/autokrinen Pfad spielt: Dass es das Vitamin D selbst ist, das in die Zellen diffundiert und dort umgewandelt wird.

Tabelle1: Beispiel-Konzentration der verschiedenen Formen von Vitamin D bei gesunden Erwachsenen.

25(OH)D (gebunden)

50 ng/ml

Vitamin D

20 ng/ml

1,25(OH)2D (frei)

0,04 ng/ml

25(OH)D (frei)

0,005 ng/ml

Es gibt aber durchaus eine Option, wie selbst gebundenes 25(OH)D in die Zellen gelangen kann: Das Megalin-System, eine Art Rezeptor, der das gebundene 25(OH)D in die Zellen schleust und dann das Vitamin D vom DBP trennt…

Ja, aber Megalin gibt es in den meisten Zelltypen nicht. Bis jetzt haben wir es nur in den Nieren und der Plazenta gefunden – Geweben, die für ihre Funktion auf eine permanente Versorgung mit 25(OH)D angewiesen sind. Die Nieren produzieren das aktive 1,25-D für die Calzium Homöostase, die absolut kritisch für den Körper ist und keine Unterbrechung erlaubt. Um diese Funktion aufrecht zu erhalten, braucht es eine permanente Versorgung mit 25(OH)D, welches ja auch die langlebigste Form im Blut ist. Aufgrund dieser hohen Bedeutung hat sich in den Nieren das Megalin-System entwickelt. Das gibt es nur in Geweben, die dringend auf eine ständige, ununterbrochene und hohe Versorgung mit Vitamin D angewiesen sind.

Du hast gerade die Langlebigkeit des 25(OH)D erwähnt. Das ist ein kritischer Punkt, den wir besprechen müssen. Die einzelnen Vitamin-D-Formen haben dramatisch unterschiedliche Halbwertszeiten: Für Vitamin D sind es 24 Stunden, für 25(OH)D drei Wochen und für das Hormon ein bis drei Stunden. Wenn es stimmt, das Vitamin D selbst die zentrale Rolle spielt, hätte das drastische Auswirkungen auf die therapeutische Praxis.

Ja! Weil Vitamin D so schnell erschöpft ist, benötigen wir es täglich, um einen ausreichenden Spiegel zu erhalten. Der Spiegel des 25(OH)D hingegen ist zwar über einen langen Zeitraum sehr stabil, aber 25(OH)D kann eben nicht in die Zellen diffundieren. Also brauchen wir für alle nicht-kalzämischen Wirkungen des parakrinen Wirkweges tägliches Vitamin D, entweder durch die Sonne oder durch eine entsprechende orale Aufnahme. Und zumindest meine Forschung hat gezeigt, dass die Sonne in allen nördlichen Ländern und in der modernen Welt, in der wir leben, leider keine verlässliche Option mehr ist. Ich glaube darum, dass der moderne Mensch auf eine tägliche Vitamin-D-Supplmenation angewiesen ist, um den parakrinen Wirkweg aufrecht zu erhalten.

25(OH)D

3 Wochen

Vitamin D

24 Stunden

1,25-D

1-3 Stunden

Der parakrine Weg erfordert also eine tägliche Zufuhr von Vitamin D – was bedeutet das für die Vitamin-D-Forschung?

Das verursacht große Probleme! Aus Gründen der Bequemlichkeit wurde Vitamin D in vielen Studien auf einer wöchentlichen oder monatlichen Basis verabreicht, da so in Langzeit-Studien besser kontrolliert werden kann, dass die Probanden ihr Vitamin D auch wirklich nehmen. Und die Annahme war, dass es keinen Unterschied macht. Vielleicht macht es für die Gesundheit der Knochen wirklich keinen großen Unterschied, weil der endokrine Weg vor allem von einem stabilen 25(OH)D-Spiegel abhängig ist, den man auch mit Monatsdosen erreichen kann. Aber selbst in diesem Bereich sind die Forschungsergebnisse mit solchen Bolus-Dosierungen nicht ganz so gut. Trotzdem scheint es insgesamt aus den Daten, dass die Stoßtherapie in Bezug auf die Gesundheit der Knochen durchaus wirksam ist. Und so kamen viele Forscher zu der Annahme, dass das – wenn es für die Knochengesundheit funktioniert – wohl auch für alles andere funktioniert. Und ich sage: Wartet mal! Das ist nicht wahr!

Denn mit diesen Dosierungsintervallen kannst du zwar gute 25(OH)D-Spiegel erreichen, aber gleichzeitig einen völligen Mangel an freiem Vitamin D erleiden, wodurch das gesamte parakrine System nicht funktionieren kann. Und darum müssen alle Studien, welche zum Beispiel die Wirkung von Vitamin D auf die Immunfunktion mit Bolus-Dosierungen untersuchen, zwangsläufig scheitern – und das tun sie auch. Und wenn man sich alle Studien zur Immunfunktion ansieht und die Ergebnisse bei Bolus-Dosierung und bei täglicher Dosierung vergleicht, dann erkennt man, dass die besten Ergebnisse mit täglicher Dosierung erreicht werden – wie zum Beispiel die Studie von Bergman, die 4000IU täglich gab und bei verschiedenen Immunparameter sehr gute Ergebnisse hatte.(2) Es gibt Studien, die exakt das gleiche versuchen – nur mit Bolusdosierung – und es funktioniert überhaupt nicht.

Und weil das nicht erkannt wurde, haben wir so widersprüchliche Forschungsergebnisse?

Genau – und die gefährliche Sache ist, dass diese Studien dann zu dem Schluss kommen: Vitamin D wirkt nicht. Während das überhaupt nicht das ist, was sie gezeigt haben. Was sie gezeigt haben. ist: Vitamin D wirkt nicht, wenn es in dieser Art und Weise verabreicht wird! Ich musste einige solche Arbeiten gegenlesen, und wenn ich die Forscher darauf aufmerksam mache, werden einige richtig sauer – weil es große Probleme für ihre Studien-Designs verursacht. Viele Forscher tun sich darum extrem schwer, diese neuen Erkenntnisse zu integrieren.

Immerhin stellt das die letzten 20 Jahre Vitamin-D-Forschung in Frage! Unter Umständen waren die ganzen Langzeit-Studien reine Zeitverschwendung.

Mindestens die Studien zu Immunität und Krebsprävention, die mit solchen Dosierungen gearbeitet haben, in der Tat. Es bleibt noch abzuwarten, ob wir beweisen können, dass Vitamin D selbst diese Rolle spielt. Aber selbst wenn wir das außen vor lassen, ist die aktuelle Praxis sehr fraglich. Man nimmt auch kein Cholesterin-Medikament oder Herzmittel oder irgendetwas anderes nur einmal im Monat. Wie können wir einfach voraussetzen, das würde für Vitamin D funktionieren? Das müsste man doch erstmal durch Vergleichsstudien beweisen. Das passiert erst jetzt, nach Jahren von Forschung.

Was bedeutet das für die Messung von Vitamin D? Praktisch alle Ärzte und alle Studien kontrollieren ja nur 25(OH)D und nennen das den ‚Vitamin-D-Spiegel’…

Wenn natives Vitamin D die Rolle spielt, die ich glaube, dann wäre 25-OH-D nur ein schwacher Marker der gesamten Vitamin-D-Funktion. Es sagt nichts über freie Vitamin-D-Spiegel und damit die zelluläre Versorgung aus Es gibt nicht einmal eine gute Beziehung, weil die 25-Hydroxylase extrem Substrat-abhängig ist. Wenn sie nur wenig Vitamin D vorfindet, wird eine Menge von 25(OH)D aus sehr wenig Vitamin D produziert, während bei höheren Vitamin-D-Spiegeln proportional sehr viel weniger Vitamin D umgewandelt wird. Man kann also von einem nicht auf das andere schließen.

Niemand misst aber das Vitamin D selbst – denken Sie, wir sollten?

Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Das Wichtigste ist, dass Vitamin D immer täglich verabreicht werden muss. Wir wissen sicher, durch die tägliche Einnahme von ausreichend Vitamin D – und das sind mehrere tausend Einheiten pro Tag – sowohl ausreichende Spiegel von 25(OH)D als auch von freiem Vitamin D erreicht werden. Das haben wir in unseren Laktations-Studien bewiesen. Und wir haben auch bewiesen, dass Muttermilch nur dann ausreichend Vitamin D enthält, um den Bedarf des Kindes zu decken, wenn die Mütter etwa 6000 IE pro Tag bekommen – und es muss täglich sein, weil nur das freie Vitamin D in die Muttermilch übergeht.

Es deutet ja immer mehr darauf hin, dass dies die Menge ist, die wir wirklich brauchen. Auch evolutionär entspricht es der Menge, die wir durch die Sonne bekommen würden. Offizielle Stellen halten trotzdem an ihren absurden Empfehlungen von 800 IE fest – beinahe nur ein Zehntel davon! Was ist deine persönliche Vitamin-D-Dosierung und -Empfehlung?

Ich nehme 6000 IE pro Tag. Mein 25(OH)D-Wert liegt bei 50 ng/ml, und mein freies Vitamin D bei etwa 20 ng/ml.

Laufen gerade Studien, um das neue Modell zu untersuchen?

Ja, es sind mittlerweile mehrere Studien im Gange, die Bolus-Dosierung und tägliche Dosierung vergleichen. Wenn wir die Ergebnisse bekommen, die ich denke, dann ist freies Vitamin D die beste Erklärung. Das auf einem rein biochemischen Weg zu beweisen wird ziemlich schwierig, denke ich.

Für die Laktation konnten wir es beweisen, und das hat auch bereits die klinische Praxis verändert. Vor unserer Studie bekamen die meisten Babys nach der Geburt Vitamin-D-Präparate. Wir haben gezeigt, dass das für gestillte Kinder nicht nötig ist und viele Mütter bevorzugen es jetzt, ihre eigenen Spiegel mit täglichem Vitamin D zu optimieren und das Kind über die Muttermilch zu versorgen. Etliche Frauen haben mir gesagt, dass sich dass viel besser für sie anfühlt.

Meine eigene Tochter hat vor 9 Monaten ein Kind bekommen, das voll gestillt wurde. Meine Tochter nahm in der Stillzeit 10.000 IE Vitamin D. Und das Baby hatte einen 25(OH)D-Spiegel von 50 ng/ml nur vom Stillen – es hat keinerlei Ergänzungen oder Babymilch bekommen.

Der wichtige Punkt ist: Das geht nur bei täglicher Dosierung – ganz egal welchen Blutspiegel man hat.

Ja. Man muss verstehen, dass das aktuelle Verständnis von Vitamin-D-Mangel nicht funktioniert: Selbst wenn Du einen 25(OH)D-Blutspiegel von 50 ng/ml hast, bedeutet das nicht, dass genug freies Vitamin D für alle parakrinen Funktionen vorhanden wäre oder dass Muttermilch irgendwelches Vitamin D enthält. Der Blutspiegel an freiem Vitamin D kann durchaus 0 sein! Man muss Vitamin D immer auf einer täglichen Basis einnehmen – das ist der einzige Weg, um wirklich keinen Vitamin-D-Mangel zu haben. Und das ist eigentlich sehr einfach umzusetzen.

Und die Körperspeicher? Welchen Beitrag leisten die?

Wenig oder gar keinen. Viele Jahre hat man angenommen, dass überschüssiges Vitamin D im Fettgewebe gespeichert wird und dann später mobilisiert werden kann, wenn man es braucht. Aber das ist nur eine Theorie, und wenn wir uns das bei Versuchstieren angesehen haben, konnten wir nie irgendwelche Beweise finden, dass das tatsächlich der Fall wäre. Wir haben uns auch den Vitamin-D-Gehalt im Fettgewebe nach Gabe von hohen Dosen von Vitamin D für längere Zeit angesehen, und da war einfach nicht viel Vitamin D zu finden. Kleine Mengen von Vitamin D gehen ins Fett über, aber das ist nicht Cholesterin-gespeichert, wie wir lange glaubten, es ist einfach im Gewebe gelöst. Und darum wissen wir sicher, dass es in Zeiten niedriger Vitamin-D-Versorgung nicht wieder in den Kreislauf mobilisiert wird.

Und beim Fasten? Wird es freigegeben, wenn wir das Fettgewebe als Energiequelle verwenden und abbauen? Das würde ja evolutionär Sinn machen für den harten Winter..

Ja, schon. Aber ich glaube einfach nicht, dass es dort bei einem normalen BMI relevante Mengen gibt.

Gibt es irgendein Szenario wo die Stoßtherapie Sinn macht?

Wenn Du einen starken Vitamin-D-Mangel hast, ist die kurzfristige Einnahme großer Mengen von bis zu 50.000 IU sinnvoll, weil dies den Blutspiegel schnell anhebt. Es sind wohlgemerkt nicht nur die Fettgewebe, die aufgefüllt werden, sondern vor allem das zirkulierende 25(OH)D und natürlich hebt es auch augenblicklich den Spiegel an freiem Vitamin-D an. Aber sobald die Spiegel normal sind, machen Wochen- oder Monatsdosen keinen Sinn, sondern man braucht etwa 5000 IE pro Tag – jeden Tag und durchgehend.

Abgesehen davon, dass Vitamin D vermutlich also der Ausgangsstoff für den zellulären Vitamin D-Stoffwechsel ist, hat ein weiteres Forschungsgebiet gezeigt, das Vitamin D sehr wichtige Funktionen hat, die völlig unabhängig sind vom bisher bekannten Vitamin-D-Stoffwechsel.

Oh ja. Gibson und andere haben kürzlich ein Papier veröffentlicht, das zeigte, dass Vitamin D die Endothel-Zellmembranen stabilisiert.(3) Und keiner beachtet diese Arbeit! Das ist wirklich erstaunliche Forschung. Was sie herausfanden, ist, dass alle Vitamin-D-Metaboliten sich in in die Zellmembran einbauen und sie so stabilisieren. Das ist eine nicht-genomische Wirkung – das Vitamin selbst wird in die Membran eingebaut, um sie zu stabilisieren!

Und was das für die einzelnen Formen bedeutet, ist wieder das Gleiche: Während 1,25-D dies theoretisch tun könnte, sind die Mengen in in der Zirkulation so unbedeutend, dass es einfach kein Faktor sein kann. Es sind nur ein paar pg – nicht genug. 25-D würde theoretisch auch funktionieren, aber es kann nicht funktionieren, solange es an das DBP gebunden ist. Und die Konzentrationen der freien Form von 25-D sind wieder zu niedrig, um hier eine Rolle zu spielen.

Auf der anderen Seite – und nur sofern man Vitamin D auf einer täglichen Basis einnimmt – stünden enorme Mengen an freiem Vitamin D für solche Dinge zur Verfügung. Und die Forschung zeigte auch, dass Vitamin D selbst die effektivste der drei Formen ist. Das ist schon erstaunlich genug: Die Forscher untersuchten Tausende Substanzen als mögliche Kandidaten für diese Funktion und am Ende blieben nur zwei übrig, von denen Vitamin D am wirksamsten war! Und ich habe mit den Forschern gesprochen – die waren sehr enttäuscht, weil sie für die Arzneimittelentwicklung arbeiteten und hofften, sie würden etwas Einmaliges, vielleicht sogar ein Patent finden – und dann erweist sich, das ausgerechnet Vitamin D die effektivste Verbindung ist!

Die Arbeit ist der Durchbruch in einen völlig neuen Bereich der Vitamin-D-Forschung und widerlegt auch die Idee, Vitamin D selbst wäre nur eine „inaktive Vorstufe“ – warum wurde die Studie von der Vitamin-D-Gemeinschaft nicht angenommen?

Ja, es ist traurig – das ist ein völlig neues Forschungsgebiet. Und sie haben es nur bei PlosOne veröffentlicht bekommen. Sie haben ihr Papier zur Nature geschickt und es hat absolut die Qualität dort veröffentlicht werden, aber die wollten es nicht nehmen, und zwar, weil die Redakteure es einfach nicht glauben konnten! Sie lehnten es ab, nur weil sie nicht an solche Wirkungen von Vitamin D glauben konnten. So ist das manchmal im Wissenschaftsbetrieb.

Also, was denken Sie: Wo stehen wir heute in Vitamin-D-Forschung?

Ich denke, dass Vitamin D sehr kompliziert ist, und wir derzeit nicht einmal in der Nähe zu einem vollständigen Bild sind. Ich denke, die ganzen kontrollierten randomisierten Doppelblindstudien (RCTs) zu Vitamin D waren weitgehend eine Verschwendung von Zeit – weil alle keine geeigneten Kontrollen hatten. RCTs für Nährstoffe sind sehr schwierig, sie sind nicht für Nährstoffe ausgelegt, sondern für Medikamente. Sie sind praktisch nutzlos, wenn man bestimmte Prinzipien nicht beachtet. Und diese werden derzeit nicht eingehalten! Und trotzdem schreien die ganzen staatlichen Institutionen nach mehr RCTs, bevor sie ihre völlig überholten Empfehlungen korrigieren. Während ich denke, wir sollten alle Daten verwenden, die wir bereits haben – wie die Beobachtungsstudien von Grassroots Health zum Beispiel. Die haben bemerkenswerte Ergebnisse – aber es ist eben kein RCT. So haben wir eine Menge an Vitamin D zu überdenken – von den grundlegenden Konzepten bis zur klinischen Praxis und Forschung.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte David Rotter

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Quellen

  1. Hollis, B. W., & Wagner, C. L. (2013). The role of the parent compound vitamin D with respect to metabolism and function: why clinical dose intervals can affect clinical outcomes. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 98(12), 4619-4628.
  2. Bergman, P. Et al. (2012). Vitamin D3 supplementation in patients with frequent respiratory tract infections: a randomised and double-blind intervention study. BMJ Open, 2(6), e001663.
  3. Gibson, Christopher C., et al. Dietary Vitamin D and its metabolites non-genomically stabilize the endothelium. PloS one, 2015, 10. Jg., Nr. 10, S. e0140370.