Vitamin D – wir wissen noch fast nichts
Wir kratzen in Bezug auf Vitamin D gerademal an der Spitze des Eisbergs, sagt Dr. Holick, einer der weltweit führenden Experten für das Sonnenschein-Vitamin. Er arbeitet seit fast vier Jahrzehnten am Puls der Vitamin-D-Forschung – und noch immer werden jedes Jahr neue Wirkungen des Vitamin D entdeckt. VitaminD.net sprach mit Dr. Holick über das Neueste aus der Vitamin-D-Forschung
Dr. Holick, wenn Sie raten müssten: Wo stehen wir in unserem Wissen über Vitamin D? 20 Prozent? 50 Prozent?
Dr. Holick: Ich denke, wir kratzen gerade mal an der Spitze des Eisbergs – ob man es glaubt oder nicht. Aber was wir bereits haben, sind reichlich Beweise dafür, dass Vitamin D Wirkungen weit über Calcium und das Skelett hinaus hat. Es gibt gute Hinweise, dass die Verbesserung des Vitamin-D-Status oder mehr Sonnenexposition das Risiko für Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes, Alzheimer, Depression, tödliche Krebserkrankungen, sowie Infektionskrankheiten reduziert, um nur mal einige zu nennen.
Aber es gibt immer noch viel, dass wir nicht einmal begonnen haben, uns anzuschauen. Nur als Beispiel: Wenn man Vitamin D durch die Sonne in der Haut herstellt, entsteht dabei nicht nur Vitamin D, sondern auch vier oder fünf andere Photoprodukte, die höchstwahrscheinlich ebenfalls wichtige Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Die drei Wirkwege des Vitamin D
Wenn in Lehrbüchern der Vitamin-D-Stoffwechsel beschrieben wird, wird meist nur der endokrine Weg beschrieben, bei dem die Niere das aktive Vitamin-D-Hormon herstellt. Heute wissen wir aber, dass der Großteil der Wirkungen des Vitamin D vielmehr auf zellulärer Ebene stattfindet.
Ja, die Zellen im Körper haben die Fähigkeit, Vitamin D selbst lokal umzuwandeln und dieses lokal produzierte aktive Vitamin D reguliert bis zu 2000 Gene, die eine ganze Reihe von Stoffwechselprozessen steuern und aktivieren.
Wir haben eine Studie bei gesunden Erwachsenen durchgeführt und fanden heraus, dass, wenn wir 2000 IE Vitamin D pro Tag verabreichten und ihre Immunfunktion durch die Genexpression in ihren Immunzellen untersuchten, 291 Gene in ihrem Profil geändert wurden, die mehr als 80 verschiedene metabolische Prozesse kontrollieren, einschließlich der DNA-Reparatur, der auto-Oxidation und Immunfunktion, um nur einige zu nennen. (1)
Wir wissen heute, dass viele Gewebe wie Haut, Darm, Brust, Herz und Gehirn Vitamin D selbst in seine aktive Form umwandeln können und dass Vitamin D wichtige Funktionen in diesen Geweben hat.
Und damit noch nicht genug. Aktuell gibt es jetzt Hinweise darauf, dass Vitamin D auch ganz ohne diese Umwandlung eine eigene unabhängige Wirkung hat. Was genau wurde dort herausgefunden?
Ja, es gibt zunehmendes Interesse an der Möglichkeit, dass das Vitamin D im Blut – unabhängig von seiner Umwandlung – eine eigene Wirkung zeigt.
Es gibt eine sehr gute Studie von einem Team in Utah. Sie suchten nach einem Mittel, um die Endothel-Zellmembranen zu stabilisieren und studierten dafür Tausende von Verbindungen, die möglicherweise diese Fähigkeit haben. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass unmetabolisiertes Vitamin D3 die stärkste Wirkung auf die Stabilisierung der Endothelzellmembranen hatte. (2)
Deshalb glauben wir nun, dass Vitamin D selbst – unabhängig davon, dass es in die anderen Formen umgewandelt wird – Membranen stabilisiert und seinen eigenen, direkten gesundheitlichen Wirkungen hat, die wir bisher nicht beachtet haben.
Und das könnte eine ganz neue Ebene von Vitamin-D-Wirkungen öffnen?
Ja, wir glauben, dass unsere Jäger-Sammler-Vorfahren durch ihre täglichen Sonnenexposition einen stabilen Blutspiegel von unmetabolisiertem Vitamin D aufrecht erhalten haben, der eine unabhängige positive Wirkung auf den Körper hatte. Unabhängig davon, dass Vitamin D in der Niere verstoffwechselt wird, um die Knochengesundheit zu erhalten. Und auch unabhängig von der zellulären Umwandlung von Vitamin D in verschiedenen Organen und Zellen – einschließlich des Gehirns, wodurch das Risiko von neurokognitiven Dysfunktionen wie Depressionen und Alzheimer-Krankheit reduziert wird. Auch unabhängig von Modulation der Immunfunktion und der Reduktion des Risikos von Infektionen und unabhängig von der Aufrechterhaltung des normalen Zellwachstum und der Reduktion des Krebsrisikos. So hat Vitamin D vermutlich 3 separate Wirkwege und Funktionen für unsere Gesundheit: Den endokrinen, den parakrinen und den direkten Wirkweg.
Sie sprechen den parakrinen Wirkweg an: Hier ist es so, dass unmetabolisiertes Vitamin D womöglich auch eine wichtige Rolle als Substrat für die zelluläre Umwandlung spielt…
Richtig, wir wissen, dass viele Gewebe beide Enzyme besitzen, um Vitamin D2 oder Vitamin D3 zu 25(OH)D und um 25(OH)D zu 1,25(OH)2D konvertieren. Und wahrscheinlich sind diese Enzyme dort aus einem guten Grund!
Wir sprechen also – wie Sie gerade sagten – heute über drei Vitamin-D-Systeme: Ein Vitamin-D-System, das hauptsächlich im Zusammenhang mit der Gesundheit der Knochen steht – der endokrine Weg. Dann das autokrine-parakrine System, das in Zusammenhang mit allen nicht-kalzämischen Funktionen wie der Immunfunktion steht und mehr von Vitamin D als vom gebundenen 25(OH)D abhängt. Und ein drittes System, in dem das unmetabolisierte Vitamin D direkte Auswirkungen auf die Zellmembranen hat. In zweien dieser Systeme wäre dann nicht 25(OH)D, sondern Vitamin D selbst die entscheidende Größe…
Das ist möglich, und es gibt sogar einige Anzeichen dafür, dass dies der Fall sein könnte. Der Großteil des 25(OH)D im Blut ist an das Vitamin D-Transportprotein (DBP) gebunden, und dieser Komplex kann nicht in das innere von Zellen gelangen. Nur eine sehr kleine Menge, etwa tausendfach weniger, ist nicht an DBP gebunden und wird als die freie Form von 25(OH)D bezeichnet und kann in die Zelle gelangen.
Einzig die Nieren haben das Megalin-System. Megalin ist ein Rezeptor auf der Nierenzelloberfläche, der das an DBP gebundene 25(OH)D bindet und es in die Nierenzelle bringt, wo dann das 25(OH)D vom DBP dissoziiert und zu 1,25(OH)2D konvertiert wird.
Die meisten anderen Zellen haben diese Megalin-Rezeptoren nicht, aber dennoch wissen wir, dass diese Zellen Vitamin D zu 25(OH)D und 25(OH)D zu 1,25(OH)2D umwandeln können. Das unmetabolisierte Vitamin D und das freie, ungebundene 25(OH)D spielen hier die entscheidende Rolle, da nur diese Formen überhaupt in das Innere von Zellen gelangen können, die kein Megalin haben.
Aber der Spiegel an freien 25(OH)D ist verschwindend gering, während die Spiegel an unmetabolisiertem Vitamin-D sehr hoch sind.
Das ist richtig. Der Gehalt an Vitamin D im Blut ist viel höher als der von freiem 25(OH)D. Daher dürfte Vitamin D selbst eine wichtige physiologische Funktion zukommen.
Es würde ja auch biologisch Sinn machen, dass der Körper die Regulation des Calciums komplett von der Regulation der Immunfunktion und dem Schutz der Zellmembranen entkoppelt, da dies völlig verschiedene Systeme sind, die unabhängig voneinander geregelt werden müssen.
Absolut! Und wenn man es evolutionär betrachtet, hat der Blutkalziumspiegel für den Körper die höchste Priorität, weil darüber die meisten metabolischen Funktionen und die neuromuskuläre Aktivität reguliert werden.
Unmetabolisiertes Vitamin D ist in etwa 24 Stunden aufgebraucht. In Bezug auf die Dosierungs-Intervalle und die Spiegel der unterschiedlichen Formen scheint es also einen großen Unterschied machen, ob ich mein Vitamin D täglich nehme oder in großen wöchentlichen oder monatlichen Dosen?
Große intermittierende Dosen von Vitamin D sind wirksam, um die Blutspiegel von 25(OH)D zu erhalten – sowohl des an DBP gebundenen, als auch des freien, ungebundenen 25(OH)D. Durch die tägliche Einnahme von Vitamin D2 oder Vitamin D3 erhält man aber auch den Spiegel des unmetabolisierten Vitamin D, das eine separate Wirkung auf den Körper haben könnte – völlig unabhängig von 25(OH)D, das eine sehr lange Halbwertszeit hat. Es ist also nur das unmetabolisierte Vitamin D, wo die tägliche Dosierung einen Unterschied macht. Welche Tragweite das hat, ist momentan noch unklar.
Wo dieser freie Vitamin-D-Spiegel zum Beispiel signifikant wird, ist während der Stillzeit, da nur das unmetabolisierte Vitamin D, nicht aber die späteren Formen in die Muttermilch übergehen können.
Ja. Nur das Vitamin D, das ja nicht an DBP gebunden ist, geht leicht aus dem Blut in die Milch über. Und nur, wenn die Frauen tägliche Dosen von etwa 4000 bis 6000 IE pro Tag einnehmen, geht genug Vitamin D in die Milch über, um den Bedarf des Säuglings zu erfüllen.
… was ja lange Zeit ein Rätsel war, warum Studien an der Muttermilch in den Industrieländern Vitamin-D-Spiegel zeigten, die weit unter dem Bedarf der Kinder lag – als hätte die Natur das wichtigste Vitamin vergessen!
Genau, aber wenn man das jetzt betrachtet, macht es durchaus Sinn. Unsere Jäger-Sammler-Vorfahren haben Tausende von IEs Vitamin D pro Tag durch die permanente Sonnenexposition produziert und als Folge haben wir uns als Art daran angepasst.
Wir haben einfach nicht begriffen, dass dies die tatsächlichen Mengen an Vitamin D sind, die wir wirklich brauchen! Über Jahrzehnte wurde Ärzten beigebracht, dass Vitamin D hoch toxisch ist. Und selbst heute empfehlen einige Fachkräfte des Gesundheitswesens den Müttern 400 IE Vitamin D pro Tag, dass sind nur 10% von dem, was sie wirklich brauchen!
Aber um Vitamin D in der Muttermilch zu haben, müssten die Mütter ihr Vitamin täglich einnehmen?
Ja, Bolusdosierung funktioniert hier nicht. Und das sagt uns etwas von entscheidender Bedeutung, denke ich: Dass wir wahrscheinlich jeden Tag Vitamin D brauchen und dass es gesundheitliche Wirkungen hat, die über den Erhalt der 25(OH)D-Blutspiegel hinausgehen.
Vitamin D bei MS
Ein weiterer Bereich, in dem dies wichtig sein könnte, ist Vitamin D bei Multipler Sklerose. Es gibt auch hier neue Durchbrüche, an denen Sie beteiligt sind…
Ja, da läuft ein spannender Versuch über Brasilien, für die ich ein Teil der Patienten in meiner Klinik begleite. Das Protokoll empfiehlt Multiple-Sklerose-Patienten bis zu 60.000 IE Vitamin D pro Tag zu geben. Ich habe mehr als 100 dieser Patienten begleitet. Einige von ihnen sagten mir, dass sie blind waren oder an den Rollstuhl gefesselt und dank dieses neuen Protokolls sind sie nun wieder voll funktionsfähig.
Sie sprechen vom Coimbra-Protokoll?
Ja, Dr. Coimbra. Ich begleite einige seiner amerikanischen Patienten. So lange, wie man das sorgfältig überwacht und sicherstellt, dass sie einer Calcium-armen Diät folgen und ihr Blut und ihr Urin-Calcium sehr sorgfältig überwacht, können diese Patienten sehr hohe Vitamin-D-Spiegel haben, ohne Anzeichen von Toxizität. Ich habe eine Patientin auf 55.000 IE Vitamin D3 täglich und ohne Fortschreiten ihrer Multiple Sklerose, ihr geht es gut. Sie hat auch keine Toxizität.
Weiterlesen: Vitamin D bei MS und Autoimmunerkrankungen – das Coimbra-Protokoll
Was ist der Mechanismus? Warum hilft Vitamin D bei MS?
Wir wissen es nicht genau – aber mein Verdacht ist, dass es das unmetabolisierte Vitamin D zusammen mit den hohen 25(OH)D-Spiegeln ist, die hier eine wichtige Rolle spielen. Aber wir wissen noch nicht, was genau der Mechanismus ist.
Und wird MS durch Vitamin D geheilt oder hält das Vitamin D nur die entzündliche Immunantwort in Schach?
Die MRI-Scans von Dr. Coimbras Patienten zeigen eine sehr deutliche Verbesserung in den Plaques, in einigen Fällen eine fast vollständige Auflösung der Multiple-Sklerose-Plaques.
Der optimale Vitamin-D-Spiegel – und die Dosierung
Hier sprechen wir von kranken Patienten, die möglicherweise eine Resistenz gegen Vitamin D haben und darum so hohe Spiegel brauchen. Im Internet wird aber immer wieder für solch hochdosierte Vitamin-D-Supplementation auch für normale, gesunde Personen geworben. Diese Menschen nehmen 20.000 – 50.000 IE täglich und streben Blutspiegel zwischen 80 und 100 ng/ml an. Glauben Sie, dass das einen Nutzen bei gesunden Menschen hat?
Gute Frage. Wir haben keine Antwort. Wir wissen, dass diese Spiegel keine Toxizität verursachen, aber wir haben keine Antwort, ob das einen zusätzlichen Nutzen bringt. Ich selbst halte meinen Blutspiegel bei 60 ng/ml mit etwa 4000 IE Vitamin D täglich. Meine Botschaft ist immer gewesen, dass es vermutlich keinen Nachteil hat, den Vitamin-D-Spiegel zu erhöhen, und ich denke, dass alle Erwachsenen pro Tag mindestens 3.000 bis 4.000 IE Vitamin D einnehmen sollten – und wenn Sie übergewichtig sind, müssen Sie wahrscheinlich 6.000 bis 10.000 IE pro Tag nehmen um den Vitamin-D-Bedarf zu decken.
Aber alle Forschung an natürlich lebenden Menschen – wie den Massai und anderen indigenen Stämmen – zeigen, dass natürlich vorkommende Werte zwischen 40 und 60 ng/ml, liegen, niemals höher. Ist das nicht ein gutes Anzeichen dafür, dass dies die optimalen Werte sind?
Genau richtig. Und das ist auch genau das, was die Endocrine Society im Jahr 2011 vorschlug: Dass der Sweet Spot von 25(OH)D zwischen 40 und 60 ng/ml liegt, dass bis zu 100 ng/ml als sicher anzusehen sind und dass das absolute Minimum bei 30 ng/ml angesetzt werden sollte.
Eine andere Sache, über die ich gerne sprechen würde sind die Körperspeicher. Es gibt die Vorstellung bei einigen Menschen, dass Vitamin-D-Präparate nicht erforderlich wären, weil man im Sommer Vitamin-D-Speicher aufbauen könne, die einen durch den Winter bringen. Was sagen Sie dazu?
Ausgezeichnete Frage. Was vermutlich evolutionär passiert ist, ist Folgendes: Als stark pigmentierte Menschen vom Äquator nach Norden gewandert sind, musste die Pigmentierung schnell verschwinden, was durch eine Veränderung des Melanozyten-Rezeptor-Gens passierte – so entwickelte sich in einem relativ kurzen Zeitraum der kaukasische/keltische Typ und als Ergebnis konnten diese Menschen effizienter Vitamin D produzieren.
Wie ist das eigentlich möglich gewesen?
Der Selektionsmechanismus dafür ist, dass, wenn eine Mutter unter Vitamin-D-Mangel litt und ein weibliches Kind gebar, dann hatte dieses Kind ein flach verformtes Becken mit einem kleinen Beckenausgang, was es später im Leben schwierig für sie machte, ein Kind auf natürliche Weise zu bekommen.
Nun, wir haben nachgewiesen, dass der Mensch, wenn man in Badekleidung an den Strand geht und die Haut 24 Stunden später eine leichte rosa-Färbung bekommt, dies der Einnahme von 20.000 IU Vitamin D entspricht. Das entspricht bei unseren Vorfahren einer Synthese von durchschnittlich 5000 IE täglich, während des Frühlings, Sommers und im Herbst. Ein Teil des Vitamin D wurde im Körperfett gespeichert. Während des Winters wurde dieses Körperfett dann als Energiequelle abgebaut, und das Vitamin D wieder in den Kreislauf abgegeben.
Aber das kann man sehr offensichtlich kaum auf das Leben des modernen Menschen übertragen …
Realistisch betrachtet kann man nicht mal ausreichend Sonnenexposition erreichen, um, wie unsere Vorfahren, Körperspeicher aufzubauen, die genügend Vitamin D liefern würden.
Auf die Körperspeicher sollte man sich also nicht verlassen?
Nein, ganz sicher nicht.
Noch ein anderes Thema: Gleich mehrere Studien in den letzten Jahren haben berichtet, dass die gleichen Dosen von Vitamin D zu sehr unterschiedlichen Blutspiegeln des Patienten führen können – warum ist das so extrem individuell?
Das sehe ich auch bei meinen Patienten. Zunächst hängt das mit dem Ausgangsblutspiegel von 25(OH)D zusammen: Wenn ein starker Vitamin-D-Mangel vorliegt, mit einem 25(OH)D-Spiegel von weniger als 5 ng/ml, dann können 200 oder 400 IE Vitamin D den Blutspiegel von weniger als 5 ng/ml sehr schnell auf etwa 10-15 ng/ml erhöhen.
Der Grund dafür ist, dass das Enzym 25-Hydroxylase in der Leber super-effizient darin ist, das Vitamin D zu 25(OH)D umzuwandeln, damit der Körper den Calzium-Bedarf decken kann. Aber sobald man etwa 20 ng/ml erreicht, benötigt man viel mehr Vitamin D, um die Blutspiegel weiter zu erhöhen, weil nun andere, weniger effiziente Enzyme in der Leber das weitere Vitamin D zu 25(OH)D zu konvertieren. Im Durchschnitt wirst du pro 100 IE, die du täglich einnimmst, deinen Blutspiegel um 0,6 bis 1 ng/ml erhöhen.
Zweitens verlangsamt die Vitamin-D-Regulation die Konvertierung von Vitamin D zu 25(OH)D immer mehr, je höher die 25(OH)D-Spiegel werden. Selbst bei 20.000 IU Vitamin D werden gesunde Erwachsene Blutspiegel von nur 60 bis 80 ng/ml halten, wie wir in einer kanadischen Studie mit Pure North gezeigt haben – das ist absolut sicher.
Und Drittens wird Vitamin D noch durch ein weiteres Enzym reguliert – die 24-Hydroxylase – die das aktive Vitamin D und das 25(OH)D zerstört.
Das sollten Sie kurz erklären.
Wenn der Körper D das aktive Vitamin nach der Erfüllung seiner biologischen Funktion nicht sehr schnell zerstört, dann würde der Calciumspiegel stark steigen, was zu Nierenversagen und Herzversagen führen kann. Daher induziert das 1,25(OH)2D, sobald es in einem Zellkern wirkt, seine eigene Zerstörung – durch die Erhöhung der 24-Hydroxylase-Aktivität. Dieses Enzym zerstört dann sofort das 1,25(OH)2D. Und dieses Enzym erkennt eben auch 25(OH)D und macht damit das Gleiche.
Wir wissen nun, dass einige Menschen einen 24-Hydroxylase-Mangel haben. Wenn diese Menschen 1000 IE Vitamin D einnehmen, steigen ihre Blutspiegel von 25(OH)D viel schneller als bei einer Person mit einer normalen 24-Hydroxylase-Aktivität. Statt den Blutspiegel um 10 ng/ml zu erhöhen, erhöht er sich um etwa 40 ng/ml.
Es gibt auch seltenen Fälle, wo Menschen eine Mutation der beiden 24-Hydoxylase Gene vorweisen und als Ergebnis können sie hyperkalzämisch werden und Nierensteine entwickeln. Die Blutspiegel von 25(OH)D liegen in der Regel im Bereich von 80-150 ng/ml, und das ohne jede Vitamin-D-Supplementierung, nur durch Sonnenlicht.
Also sind es Unterschiede im Vitamin-D-Stoffwechsel, die den Unterschied machen, nicht Absorptionsprobleme?
Malabsorptionssyndrome können auch ein Problem sein. Für die meisten Menschen eher nicht, aber darum ist es so wichtig, den 25(OH)D-Blutspiegel zu überwachen. Wir haben bei gesunden Erwachsenen Studien durchgeführt, die zeigen, dass manche Menschen 100% absorbieren und andere nur 50%.
Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und Zöliakie haben oft ein Problem, Vitamin D zu absorbieren. Wir stellen immer wieder fest, dass Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen oder Zöliakie und einer Glutenunverträglichkeit einen Vitamin-D-Mangel erleiden, den wir mit den üblichen Dosierungen nicht korrigieren können.
Vitamin D durch die Sonne
Der Mensch ist offenbar an eine Versorgung durch die Sonne angepasst. Nach allem, was wir heute besprochen haben, scheint das immer noch der beste Weg zu sein?
Ja, wir haben auch festgestellt, dass Vitamin D welches in der Haut gebildet 2-3 mal länger im Blut bleibt im Vergleich zu oral verabreichtem Vitamin D. Und wie ich vorhin schon erwähnt habe, gibt es noch andere Photoprodukte, die ihre eigene Rolle in der Gesundheit haben könnten. Ich glaube – auch wegen der möglichen direkten Wirkung von Vitamin D selbst – dass es trotz des ganzen Anti-Sonne-Geredes da draußen, tatsächlich vernünftig ist, einiges Vitamin D über Sonneneinstrahlung zu bekommen. Auch die Weltgesundheitsorganisation erkennt mittlerweile auf ihrer Website die Wichtigkeit umsichtigen Sonnens für die Vitamin-D-Versorgung der meisten Kinder und Erwachsenen an.
Aber woher weiß man, wie lange man draußen bleiben muss, wie viel man produziert hat und wann man aufhören sollte?
Dafür haben wir eine App entwickelt! Auf www.dminder.info gibt es eine kostenlose App für iPhone oder Android zum herunterladen und die kann dir überall auf dem Planeten sagen, ob du gerade Vitamin D produzieren kannst und auch wie viel Vitamin D – und es wird dich auch warnen, wann du aus der Sonne gehen solltest, um keinen Sonnenbrand zu bekommen!
Wie funktioniert das? Ist die App mit Wetterdiensten verknüpft und berücksichtigt auch die Bewölkung?
Genau richtig. Sie ist mit Wetterdiensten verknüpft und verwendet die Daten von Satelliten. Aber wir haben auch unsere eigene Forschung an verschiedenen Orten rund um den Globus betrieben und gemessen, wie viel Vitamin D an verschiedenen Orten wirklich produziert wurde, darunter Brasilien, USA, Kanada und Norwegen, um nur ein paar zu nennen – und all diese Informationen fließen zusammen in diese kostenlose App.
Das ist großartig. Vielen Dank für das Interview!
Erwähnte Studien
- Hossein-Nezhad, A., Spira, A., & Holick, M. F. (2013). Influence of vitamin D status and vitamin D 3 supplementation on genome wide expression of white blood cells: a randomized double-blind clinical trial. PloS one, 8(3), e58725.
- Gibson, C. C., Davis, C. T., Zhu, W., Bowman-Kirigin, J. A., Walker, A. E., Tai, Z., … & Li, D. Y. (2015). Dietary Vitamin D and its metabolites non-genomically stabilize the endothelium. PloS one, 10(10), e0140370.