Medien berichten von Nierenversagen durch Vitamin-D-Überdosis
Eine aktuelle Medienmeldung, die gerade von diversen großen Nachrichtenmagazinen verbreitet wird, behauptet, ein kanadischer Mann habe durch eine Überdosis Vitamin D ein Nierenversagen erlitten. Die Einnahme von etwa 12.000 IE Vitamin D soll dafür verantwortlich sein.
Die Meldung beruht auf einer im Canadian Medical Association Journal erschienenen Fallstudie, in welcher die Autoren diesen Fall schildern. [1]
Der Mann nahm unbeabsichtigt über einen Zeitraum von 2 Jahren etwa 8000 bis 12.000 IE, da er der fälschlicherweise davon ausging, sein sein Präparat liefere 400 IE pro Tropfen, obwohl es eigentlich 1000 IE waren.
Der Mann wurde wegen Nierenversagens in ein Krankenhaus überwiesen. Bluttests ergaben stark erhöhte Kreatinin- und Calciumwerte, einen Vitamin-D-Spiegel von 96 ng/ml und einen sehr hohen Spiegel des aktiven Vitamin-D-Hormons Calcitriol. Untersuchungen zeigen ein nicht-invasives Nierenkarzinom, das operativ entfernt wurde, Multiples Myelom (Krebserkrankung des Blutes) und granulomatöse Erkrankungen wie Sarkoidose.
Als Diagnose wurde Hyperkalzämie gestellt und der Mann wurde mit Hydroxychloroquin behandelt, um die Calcium-Werte im Blut zu senken. Es dauerte jedoch über ein Jahr, bis sich die Spiegel von Calcium und Calcitriol völlig normalisierten.
Dosis viel zu niedrig für toxische Reaktion
Der Bericht machte nicht nur informierte Leser stutzig: Eine Überdosierung bei gerademal 8.000 bis 12.000 IE ist höchst unwahrscheinlich – gewöhnlich tritt eine Hyperkalzämie erst bei deutlich höheren Dosen auf. Auch der gemessene 25-OH-D-Spiegel ist weit von den für eine Hyperkalzämie üblichen Spiegeln von über 150 ng/ml entfernt.
Dies fiel auch Nipith Charoenngam auf, einem Forscher an der Boston University School of Medicine mit dem Schwerpunkt Endokrinologie. In einem aktuellen Artikel, der ebenfalls im Canadian Medical Association Journal veröffentlich wurde, legt er dar, warum eine Überdosierung mit Vitamin D allein nicht die Ursache des Nierenversagens gewesen sein kann und welche Zusammenhänge hier wirklich eine Rolle spielten.
Im „Misconception for the cause of vitamin D toxicity“ betitelten Artikel schreibt er:
„Der von Auguste et al. berichtete Patient erlitt die Vitamin-D-Vergiftung aufgrund eines zugrunde liegenden pathologischen Zustands, den die Autoren nicht erkannten. Sie folgerten zu Unrecht, dass eine tägliche Dosis von 8000 bis 12.000 IE zu einer Vitamin-D-Vergiftung führen kann. Vitamin D-Toxizität tritt im Allgemeinen auf, wenn der Spiegel an 25-Hydroxyvitamin D über 150 ng/ml liegt. Dieser Patient hatte ein 25-Hydroxyvitamin D von 96 ng/ml. Diese Konzentration liegt innerhalb der normalen Grenzwerte (30-100 ng/ml).“ [2]
Gestörte Vitamin-D-Regulation
Seine Analyse der Situation kommt dann zu ganz anderen Schlüssen: Das gefundene Krebsgeschwür im Nierenbecken war die viel wahrscheinlichere Erklärung für diesen Fall:
„Die 1,25-Dihydroxyvitamin-D3-Spiegel sind bei Patienten mit Vitamin-D-Intoxikation mit Hyperkalzämie nicht erhöht, da durch die Unterdrückung des Parathormons die renale Umwandlung von 25-Hydroxyvitamin-D zu 1,25-Dihydroxyvitamin-D reduziert wird. Das hohe Dihydroxyvitamin-D3 und die Tatsache, dass die Autoren beobachteten, dass die Behandlung mit Hydroxychloroquin zu einem raschen Rückgang des zirkulierenden 1,25-Dihydroxyvitamin-D3-Spiegels führte, hätte die Autoren darauf aufmerksam machen müssen, dass die wahrscheinliche Erklärung der Symptome in einer unregulierten extrarenalen Umwandlung von 25-OH-D zu 1,25-Dihydroxyvitamin-D zu suchen ist.
Die renale 25-Hydroxy-Vitamin-D-1-alpha-Hydroxylase (CYP27B1) ist nicht empfindlich gegenüber Hydroxychloroquin, Ketoconazol oder Glucocorticoiden, wie von den Autoren behauptet. Nur das extrarenale CYP 27B1 ist gegenüber diesen Medikamenten empfindlich. Die Autoren machten mit bildgebenden Studien zwar bescheidene Anstrengungen, um granulomatöse Störungen auszuschließen. Die Autoren schätzten die Vorgeschichte des Patienten mit einem Urothelkarzinom jedoch nicht richtig ein. Es ist bekannt, dass dieses mit einer Vitamin-D-Toxizität assoziiert ist, die mit einer unregulierten extrarenalen Umwandlung von 25-Hydroxyvitamin D zu 1,25-Dihydroxyvitamin D zusammenhängt. Dies ist die wahrscheinliche Ursache der Intoxikation und des Nierenversagens und nicht die eingenommene Dosis von Vitamin D.“ [2]
Negativ-Schlagzeilen gegen Vitamin D
Der ärgerliche Unterton in dieser Analyse ist kaum zu überhören. Und man kann es Charoenngam kaum übel nehmen: Der aktuelle Medien-Rummel um diesen Fall ist nur ein Beispiel einer ganzen Reihe von negativen Artikeln über Vitamin D. Der Großteil dieser Artikel ist eher schlecht recherchiert – dass nun auch Mediziner durch solche Fehlinterpretationen weitere Vorlagen liefern, ist tatsächlich bedauerlich. Denn der Schaden ist angerichtet, die Horror-Meldung dürfte vielen Menschen im Gedächtnis bleiben, die Richtigstellung zu diesem Fall hingegen werden wohl die wenigsten Menschen auch nur zur Kenntnis nehmen.
Quellen
- Bourne L. Auguste, Carmen Avila-Casado, Joanne M. Bargman. Use of vitamin D drops leading to kidney failure in a 54-year-old man Bourne L. Auguste, Carmen Avila-Casado, Joanne M. Bargman CMAJ Apr 2019, 191 (14) E390-E394; DOI: 10.1503/cmaj.180465
- Charoenngam N, Hossein-Nezhad A, Hanley DA, Holick MF (2019) RE: Misconception for the cause of vitamin D toxicity.